Im Oktober bekam ich die Gelegenheit, mit Martha Gaingos, der Sozialarbeiterin bei „ACC Namibia“ das Aufnahmeverfahren für das Amitofo Care Centre zu begleiten.
Eltern bzw. die für das Kind Verantwortlichen können sich bei Martha melden und sagen, daß sie ihr Kind gern im Centre unterbringen würden. Alle Interessierte werden in einer Liste gesammelt und nach Regionen geclustert. Die Anträge können bis Ende Oktober abgegeben werden.
In den folgenden Wochen fahren Martha und die Direktorin (oder andere Beobachter) zu den Bewerbern nach Hause, um die Lebensumstände der Kinder kennenzulernen. Ziel ist es, die Bewerber mit dem größten Bedarf herauszufiltern. Im Fokus stehen hierbei Waisen und Halbwaisen. Vor dem Besuch muss abgeklärt werden, welche Sprache in der Familie gesprochen wird, denn nicht alle Bewohner Namibias beherrschen englisch oder afrikaans. Martha selbst spricht zusätzlich Damara. Aber es gibt noch eine Vielzahl anderer Sprachen. Also muss ggf. jemand mitfahren, der die infrage kommende Sprache beherrscht. Hierfür werden häufig die Caregivers herangezogen, da sie aus den verschiedenen Volksgruppen stammen.
Die nächste Herausforderung liegt darin, die Bewerber, von denen einige in Elendsvierteln wohnen, zu finden. Die Viertel sind teilweise illegal und nicht registriert. Hier jemanden zu finden ist schwierig und zeitaufwendig. Man muss sich durchfragen bis man schliesslich gemeinsam vor einer Wellblechhütte steht. Die Lebensumstände der Kinder sind teilweise auch bei den Nicht-Waisen niederschmetternd. Es ist ganz normal, dass Mütter während der Schwangerschaft von den Vätern verlassen und nicht unterstützt werden. Die Mütter haben häufig keine Arbeit, infolgedessen sie sich unter schwierigen Bedingungen durchschlagen müssen.
Bei den Besuchen wird ACC Namibia mit allen Möglichkeiten und Besonderheiten (z.B. dem Chinesisch-Unterricht) vorgestellt. Die Eltern oder Verantwortlichen sollen wissen, wem sie ihre Kinder anvertrauen. Fragen können gestellt werden. Dann interviewt Martha die Eltern anhand eines Fragebogens, der u.a. auf die psychische und physische Gesundheit der Kinder, ihr Umfeld und wie die Verantwortlichen ihren Lebensunterhalt bestreiten, eingeht. Zuletzt werden die Kinder und ihr direktes Umfeld fotografiert.
Wenn alle Hausbesuche abgeschlossen sind, entscheidet ein Gremium, bestehend aus der Direktorin, Martha, den Beobachtern und Caregivern, darüber, welche Kinder letztendlich in den Genuss der kostenfreien Erziehung bei ACC Namibia kommen. Für das Jahr 2018 werden 40 Plätze zur Verfügung gestellt, beworben haben sich jedoch über 100 Bewerber/innen. Im Dezember erfahren die Eltern, ob ihr Kind zu den Glücklichen gehört.
Es ist ein zeitaufwändiger und intensiver Prozess, der den Beteiligten viel Kraft abverlangt. Beklagt hat sich bisher niemand, sondern immer nur bestätigt, wie notwendig dieser Prozess ist.
Meine heutigen Fragen richte ich an Martha Gaingos, die Sozialarbeiterin. Sie ist 58 Jahre alt, Namibierin mit Muttersprache Damara.
F: Martha, seit wann arbeitest Du für ACC Namibia?
A: Seit Juni 2016
F: Welche Kriterien gelten für die Hausbesuche?
A: Unser Fokus liegt auf Waisen und Halbwaisen. Wenn ein Antrag auf Aufnahme für Waisen oder Halbwaisen gestellt wird, entsprechen wir dem fast zu 100%. Aber viele Eltern oder Erziehungsberechtigte melden sich, ohne daß die Kinder zu dieser Gruppe gehören. In diesem Fall helfen uns die Hausbesuche dabei, die wirklich bedürftigen Kinder herauszufiltern. Einige leiden unter extremer Armut, die es den Eltern nicht ermöglicht, die Kinder auch nur mit dem Nötigsten zu versorgen – noch nicht einmal mit Wasser. Oder wenn die Kinder in einem Umfeld von Missbrauch aufwachsen. In diesen Fällen berücksichtigen wir so viele Anmeldungen wie möglich.
F: Welche Aufgaben nimmst Du außer den Hausbesuchen noch wahr?
A: Mein Hauptaugenmerk liegt auf dem Wohlbefinden der Kinder: Ich stelle sicher, das sie in dem Centre gut aufgehoben sind, z.B. dass die Nannies sie gut behandeln und die Lehrer sie nicht schlagen. Ich spreche mit allen Beteiligten und frage, ob auffälliges Verhalten beobachtet wurde. Wenn ein Kind unglücklich wirkt, versuche ich den Grund dafür herauszufinden und eine Lösung anzubieten. Ich spreche auch mit den Kindern, damit sie wissen, daß sie mit ihren Belangen und Nöten immer zu mir kommen können.
F: Gibt es Bemühungen von Seiten der namibischen Regierung, die Situation der Kinder zu verbessern?
A: Wenig bis nichts. Gut ist, daß Amitofo Care Centre eine Genehmigung bekommen hat, hier tätig zu sein. Ohne ACC Namibia und vergleichbare Organisationen wäre die Lage der Kinder auf jeden Fall schlechter.